
Eltern und Kinder sind eine Lebensgemeinschaft, in harten Zeiten manchmal auch eine Überlebensgemeinschaft. Sie teilen Wohnung und Nahrung, Freud und Leid, gute und schlechte Zeiten, Urlaube und Lockdowns. Aber man darf daraus nicht schließen, dass sie ein Team sind.
„Wir sind doch ein Team“, kann man manchmal Eltern sagen hören, wenn es darum geht, dass die Kinder mitmachen sollen, bei irgendetwas mitanpacken oder ohne Theater zügig nach Hause gehen sollen. Darin drückt sich die Absicht aus, Kinder ohne „schwarze Pädagogik“ und autoritäre Strukturen großzuziehen – ohne Politik des Auf-den-Tisch-Hauens und statt dessen in einem kameradschaftlichen Stil, wo nicht befohlen, sondern erklärt wird, nicht vorgeschrieben, sondern vereinbart und verhandelt.
Das ist auch gut so, bis zu einem bestimmten Grad. Aber aus Eltern und Kindern wird trotzdem kein Team. Ein Team ist eine Gruppe von gleichrangigen und gleichberechtigten Mitgliedern. Eltern aber sind und bleiben Leittiere, Orientierungsfiguren, Autoritätsfiguren für ihre Kinder. Es ist wie in der Natur mit Alttieren und Jungtieren, Leithammeln und Herde: Die Alten sind einfach qua Alter und Erfahrung dazu bestellt zu sagen, wo’s lang geht, und die Jungtiere folgen ihnen, ganz ohne Argumente und ohne Sprache – einfach, weil sie die Alten sind und bisher überlebt haben und folglich wissen, wie das Leben geht.
Eltern haben deshalb nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, manchmal zu sagen: „Basta!“ oder „Es reicht“ – eine Situation zu beenden oder ein Kind wegzuschaffen, auch wenn es nicht einverstanden ist. Sie haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, nicht immer alles zu erklären und zu begründen, sondern manchmal einfach zu sagen: „Weil das so ist“, oder: „Weil wir deine Eltern sind“.
Denn Kinder brauchen die Erfahrung, dass manche Dinge unverrückbar und unverhandelbar so sind, wie sie sind. Nur wenn sie die Erfahrung einer unmittelbaren Zwingendheit oder Bindungskraft machen konnten, einer körperlich oder sonstwie unmissverständlich und undiskutierbar durchgesetzten Alternativlosigkeit, sind sie später ab einem gewissen Alter in der Lage, sich durch Argumente und Vereinbarungen zu binden und binden zu lassen. Ansonsten kann jede Vereinbarung durch Neuverhandlung aufgelöst, jedes Argument durch Gegenargumente in Frage gestellt werden, und ist kommt kein verbindliches soziales Miteinander zustande.
Kinder lieben starke Eltern. Sie suchen starke Eltern. Sie provozieren manchmal starke Eltern. Sie brauchen jemanden, der sie, wie die Katze ihre Jungen, ab und zu sanft aber entschlossen am Nackenfell packt und sie dorthin bringt, wo sie hingehören.
Natürlich macht es trotzdem Sinn, viel mit Kindern zu kommunizieren, ihnen Dinge zu erklären und notwendige Härten zu begründen. Es ist auch gut, Kinder Dinge mitentscheiden oder auch allein entscheiden zu lassen, nämlich solche Dinge, die sie entscheiden können und an denen sie Selbstbestimmung und Selbstverantwortung üben können (z.B. „Morgen ist Spielzeugtag im Kindergarten – du kannst wählen, was du mitnehmen willst.“) Aber nicht alle Dinge eignen sich dazu, in dieser Weise demokratisch und autonomieorientiert entschieden zu werden. Es gibt Momente, da hilft eine klare Ansage viel mehr eine lange Erklärung.
Nehmen wir zum Beispiel den Moment, wo das Kind eine halbe Stunde lang hingebungsvoll das Klettergerüst rauf- und runtergeklettert ist und die Mutter findet, dass es Zeit ist zu gehen. Sie könnte dann sagen: „Komm, wir gehen. Du bist so oft da raufgeklettert, du bist müde, und wenn man müde ist und Sport macht, passieren Unfälle.“ Aber dann kann es gut sein, dass das Kind anfängt zu protestieren und zu argumentieren, nach dem Motto: „Nee, stimmt nicht, ich bin nicht müde, ich zeig’s dir, ich bin noch fit, ich kann noch neue Rekorde aufstellen.“ Die beiden landen dann vielleicht in längeren Verhandlungen, möglicherweise in Protest und Geschrei. Die Mutter kann es sich viel leichter machen, wenn sie schlicht und ergreifend sagt: „Jetzt reicht’s, wir gehen.“ Sie bietet dem Kind dann keinen Ansatzpunkt für Diskussionen, und das Kind wird, wenn es sich vorher angemessen austoben durfte, in den allermeisten Fällen seinem Leithammel folgen und mitkommen.
In diesem Sinn wird von Familientherapeuten auch die folgende Erfahrung berichtet: Eltern, die lange einen begründungs- und verhandlungsorientierten Erziehungsstil gepflegt haben und dann eines Tages plötzlich sagen „Weil das so ist!“, stoßen bei ihren Kindern auf irritierte Reaktionen und den empörten Einwand: „Dann können wir ja gar nichts diskutieren!“