
Manchmal wäre man ja gern ein Anderer. Und wenn man schon mit Phantasieren anfängt, braucht man nicht zu bescheiden zu sein. Ich fange also nicht an mit Adele oder Kate Winslet oder Stephen Hawking. Wenn ich Gott wäre und zwei Dinge an der Konstruktion des Universums ändern könnte, würde ich folgende nehmen.
I.
Erstens würde ich den Zusammenhang in unserem Hormonhaushalt ändern, der sexuelle Erregung mit Fremdheit und nicht mit Vertrautheit koppelt. Das ist eine der Stellschrauben in der menschlichen Existenz, wo man mit dem geringsten Aufwand die größte Wirkung erzielen könnte. Man überlege: Was würde es für Paarbeziehungen heißen, wenn die Erregung mit den Jahren immer größer würde und die intime Kenntnis des Partners uns gerade heiß machen würde, während unbekannte oder flüchtig bekannte Personen, egal wie gutaussehend oder charmant sie sind, uns relativ kalt lassen würden?
Die Tatsache, dass es andersherum ist, löst unermessliche Probleme in menschlichen Beziehungen aus. Welches Paar schafft es schon, nach zehn Jahren noch häufigen und aufregenden Sex zu haben? Und wie viele Paare landen darüber in ernsthaften Problemen, von emotionaler Distanzierung bis zu Affären und wiederholten Trennungen-und-Neuanfängen?
Es gibt zwar Tricks und Techniken, mit denen man dem Versickern der Sexualität entgegenwirken kann. Dazu gehören etwa kreative Settings und Requisiten beim Sex, oder auch der Trick, sich ein gewisses hormonelles Erregungslevel anderswo zu holen und dann mit dem Partner im Bett abzufrühstücken. Dazu gibt es ein berühmtes Experiment: Versuchspersonen werden gebeten, auf einer Brücke einen Fluss zu überqueren. Die eine Hälfte tut dies auf einer soliden, breiten Holzbrücke, die andere Hälfte auf einer schmalen, schwankenden Hängebrücke. Danach gibt ihnen der attraktive Versuchsleiter (Frauen als Versuchsperson) oder die attraktive Versuchsleiterin (bei Männern als Versuchsperson) eine Visitenkarte mit einer privaten Telefonnummer und der Ansage, dass sie dort anrufen könnten, wenn sie sich für das Ergebnis des Experiments interessierten. Der Befund ist: Von denjenigen, die den Fluss auf der Hängebrücke überquert haben, machen sehr viel mehr von dem Angebot Gebrauch, die Nummer anzurufen. Bei ihnen wurde während der Überquerung mehr Adrenalin ausgeschüttet, und sie schreiben die Erregung, die sie daraufhin in ihrem Körper-Seele-Konglomerat verspüren, der Begegnung mit dem/der VersuchsleiterIn zu und halten diese für begehrenswerter als diejenigen, die mit wenig Adrenalin aus dem Experiment herauskommen.
Diesen Effekt kann man sich zunutze machen, indem man als Paar irgendwelche mehr oder weniger aufregenden Dinge unternimmt (Klettern, Tanzen, Selbsterfahrungsgruppen, militante Demos, usw.) und dann miteinander ins Bett geht, um die unspezifisch vorhandene Erregung in sexuelle Begegnung umzusetzen. Das ist aber ja nur ein Trick um das Problem herum. Das Problem ist, dass die menschliche Sexualität fast unweigerlich auf dem absteigenden Ast ist, wenn der Partner jahrelang oder jahrzehntelang nicht ausgetauscht wird. Es gibt hier einen Zielkonflikt zwischen gutem Sex und stabilen Beziehungen.
Es wird zwar manchmal auch gesagt, dass das Sexualleben mit zunehmendem Alter und zunehmender Erfahrung immer besser wird. Da ist auch was dran, denn für guten Sex braucht man eine Menge Fähigkeiten, die man normalerweise erst in einem gewissen Alter entwickelt, etwa: Selbstsicherheit, Selbstoffenbarung, Akzeptanz der animalischen Seite des Menschen, Wechsel zwischen den Modi Spiel und Ernst, Egoismus und Zärtlichkeit, und noch andere mehr. Es gibt also auch Faktoren, die sich im Zeitverlauf positiv entwickeln. Aber das ist eine Frage von Selbstfähigkeiten, nicht eine Frage der Erregung, die man am Anderen erfährt.
Es gibt einen Psychoanalytiker, der das bestreitet. Stephen Mitchell vertritt in seinem Buch „Kann denn Liebe ewig sein?“ die These, dass man an sich sehr wohl mit demselben Menschen ein Leben lang sexuelle Erregung erfahren könnte, wenn nur nicht unsere Angst vor Nähe wäre, die uns davon abhält. Denn Sex mit einem intim bekannten und vertrauten Menschen wäre potentiell eine noch viel größere Nähe (da emotionale und körperliche Nähe) als Sex mit einem wenig bekannten Menschen, und vor diesem Maß an Nähe scheuen wir zurück. – Nun. In meinen Augen ist Mitchell der Romantiker unter den Psychologen und verharmlost hier ein Menschheitsproblem.
II.
Gehen wir zum zweiten Punkt, den ich am Universum ändern würde. Als zweites würde ich das psychologische Gesetz ändern, dass wir uns an Vorteile schneller gewöhnen als an Nachteile.
Man betrachte folgenden Effekt. Wenn Menschen sich ein großes Haus mit Garten und Pool in einem Vorort kaufen, sind sie nach einem Jahr durchschnittlich unglücklicher als vorher. Warum? Sie haben zwar mehr Komfort, mehr Quadratmeter, mehr verglaste Südfläche und mehr Rhododendren im Garten. Aber sie haben auch längere Wege zur Arbeit und stehen häufiger im Stau. Und an den Komfort gewöhnt man sich schnell, er hat nach etwa einem Jahr keine Glückswirkung mehr – aber an das allmorgendliche Im-Stau-Stehen gewöhnt man sich nie, der Ärger darüber begleitet einen dauerhaft.
Der Glückseffekt von positiven Dingen nutzt sich also schneller ab als der Leidenseffekt von negativen Dingen. Und letzterer nutzt sich vielleicht nicht nur nicht ab, er steigert sich unter Umständen sogar mit Wiederholung. Das kann so oder so ausfallen. Im relativ günstigen Fall gewöhnt man sich an Ärgernisse oder findet sich irgendwann mit ihnen ab, so wie manche Partner nach langen Jahren des Zusammenlebens zueinander sagen können:
„Ach, deine gelegentlichen Ausraster, die hör ich gar nicht mehr“, oder: „Ach, deine Pfuscherei beim Putzen, die seh ich gar nicht mehr“. Sie haben dann eine gute, reife, weise Art gefunden, mit der jeweiligen Macken des Partners umzugehen, die ihnen Ärger erspart und liebevollen Umgang ermöglicht. Aber es kommt auch oft genug vor, dass Dinge, die uns ärgern, uns beim hundertsten Mal noch mehr ärgern als beim ersten Mal.
Das Gesetz der Gewöhnung heißt im Psychologendeutsch „Habitualisierung“. Habitualisierung heißt, dass die Reaktion auf Reize abnimmt, je öfter man demselben Reiz ausgesetzt ist. Unter anderem nehmen auch die Lustempfindungen, die man bei schönen Erlebnissen hat, mit zunehmender Gewöhnung ab. Unlust aber scheint man nie zu habitualisieren. Was uns nervt, nervt uns immer, und eher mehr als weniger mit Wiederholung.
Und das gilt nicht nur für höchstpersönliche Dinge, es gilt auch für allgemein-gesellschaftliche Dinge. Die Leistungen, die die Gesellschaft uns bietet, und die Zumutungen, die die Gesellschaft uns auferlegt, nehmen wir oft nicht in gleicher Stärke wahr. Wir regen uns darüber auf, dass in der Schule der Kinder schon wieder der Sportunterricht ausfällt, dass das Schullandheim gestrichen ist und die Coronaregeln sowieso unverständlich und undurchführbar sind. Aber wir finden es normal und nicht der Rede wert, dass es eine kostenlose Schule gibt, auf die die Kinder gehen können, dass die Schule überwiegend von motivierten und mit pädagogischem Ethos ausgestatteten Lehrern betrieben wird und dass die Schüler nach dem Pflichtunterricht noch die Theatergruppe, die Experimentier-AG und den UNO-Simulations-Workshop besuchen können. Oder wir ärgern uns darüber, dass die Krankenkasse mal irgendetwas nicht bezahlt oder dass Impfungen ab und zu Nebenwirkungen haben. Aber wir finden es selbstverständlich, dass wir alle eine Krankenversicherung haben, dass wir – Corona hin oder her – gegen fast alle relevanten Krankheiten geimpft sind und dass wir beim Zahnarzt eine Betäubungsspritze kriegen, wenn gebohrt wird.
Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt: „Die moderne Gesellschaft hat mehr Vorteile und mehr Nachteile als jede Gesellschaft davor.“ Wie schön wäre die Welt, wenn wir die Vor- und Nachteile auch in dieser Symmetrie erleben können. Wenn wir sagen könnten: „Wie schön, dass es eine U-Bahn gibt, die mich nach Hause fährt, wie schön, dass die U-Bahn sauber ist und dass U-Bahn-Stationen sicher sind, auch um zwölf Uhr nachts!“ Oder: „Wie schön, dass ich ein ausreichendes Einkommen habe, um alle Lebensnotwendigkeiten zu finanzieren und um jedes Jahr einen Urlaub zu buchen, ohne vorher aufs Konto schauen zu müssen.“ Wir sehen die Nachteile der Gesellschaft, in der wir leben, oft vergrößert und sehen die Vorteile nur sehr abgedimmt, weil sie uns so selbstverständlich geworden sind, dass wir keinen Glückseffekt mehr daraus ziehen können.
III.
Leider bin ich nicht Gott, und ich werde also mit der Welt, wie sie ist, leben müssen. Immerhin kann ich kommunizieren, und das ist kein ganz unbeträchtlicher Vorteil gegenüber Gott, der das ja – jedenfalls seit zwei- oder dreihundert Jahren – nicht mehr kann. In diesem Sinn stelle ich jetzt eine Frage an meine Leser. Mich interessiert, was es noch für Ideen gibt, was man an der Welt ändern könnte, an welchen Stellschrauben man drehen könnte, damit das Leben glatter funktioniert. Ich freue mich über jede Nachricht, die mich erreicht. Wenn genug Ideen zusammenkommen, wird es dazu einen Nachfolge-Blog geben.
Good Morning….beim zweiten Nachteil bin ich dabei. Das Ding mit dem Memorystick und dem erhalten von Schlechtem anstatt von Guten, ist wirklich ne nervige Eigenschaft von uns Menschen und würde wirklich so einiges eher positiv, otimistischer und schöner gestalten – Meiner Meinung nach liegt das aber eher an der Art wie wir miteinander kommunizieren und was die Gesellschaft und unser Elterhaus uns lehrt (Sozialisation), wie wir zu sein haben in Paarbeziehung als „Erwachsene“. Würde man ausdrücken was man mag oder dürften wir in unserem Umfeld einen kindlichen Charm der klaren Worte behalten, wäre das anders. Das Gleiche gilt natürlich auch für die kindliche Art die Welt zu betrachten. Sie wird einem suggestiv abtrainirt und – wie Du schon beschreibst – Begeisterungsfähigkeit und Glückseffekt stumpfen ab, weil man viele Dinge schon erlebt hat und sie zur „Gewohnheit“wurden. Ich sehe immer wieder Paare die diese Problematiken aufzeigen, – die Du in deinem Blog ansprichst. Jedoch denke ich, sie bedienen nur ihre Muster im System gegegenseitig und leben meist in ihren eigenen Universen ihrer Beschränktheit ohne über den Tellerrand hinauszusehen (emphatisch für die Bedrüfnisse der anderen zu sein). Sie haben nicht gelernt sich dafür zu öffnen und miteinander zu verknüpfen. Also nicht wirklich offen kommuniziert, weil sie sich nicht richtig ausdrücken können oder nicht einmal selbst wissen was genau sie wirklich wollen. Sie haben ja schon einen klar vordefinierten Fahrplan der Eltern, der Kirche, der Medien, Peer, Umfeld ect. die ihnen vorgaukelt wie man sein muss. Das gilt auch im Bezug auf die sexuelle Anziehung. Würden Paare mehr miteinander reden, kann eine Liebesbeziehung auch bis ins hohe Alter andauern. Eine Portion Realismus gehört natürlich auch dazu. Wir können nicht zu jeder Zeit vom anderen angezogen sein, selbst wenn das immer der Staus -quo es so verlangt. Es wird immer Zeiten geben in denen der eine oder die andere den Schwerpunkt auf andere Dinge legt und dadurch das Bettgeflüster mal ausbleibt. D.h. aber nicht, wenn man kommuniziert, dass es dafür nicht auch eine Lösung geben könnte.
Der Schlüssel liegt meiner Meinung nach im Ego der Menschheit und der Kommunikation.
Wie Du in deinem Blog schon so schön schreibst, erkennt man viele Dinge mit der Selbsterfahrung, Selbstsicherheit, Selbstoffenbarung und der Akzeptanz der animalischen Seite von sich selbst. Würde man diese Dinge nun auch offen näher bringen, ansprechen und sich wirklich einlassen, dann hätten viele Paare eine gute Chance.
Leider bin ich nicht so gut im __auf den Punkt kommen__ wobei ich bei diesem Thema denke, es ist wie bei vielen anderen menschlichen Themen dasselbe….immer eine Sache der Perspektive und davon gibt es leider sehr viele.
Von daher wäre es mal interessant zu wissen… was war zuerst – die Henne oder das Ei?
Sind wir so, weil wir durch die menschlich- gesellschaftliche Sozialisation so geworden sind, oder hat sich die menschlich- gesellschaftliche Sozialisation so entwickelt und angepasst, damit das Ego des Einzelnen in einer Gesellschaft/Gemeinschaft leben kann und wenn ja, wo ist was schief gelaufen?
Ich denke auf jeden das diese Dinge im „Universum“ veränderbar wären, würden die Menschen ihre eigenen Entwicklung (mit den von Dir genannten Punkten – Selbstsicherheit/Erfahrung, Relflextion, Selbstoffenbarung und Akzeptanz) mehr forcieren und nicht hauptsächlich mit der Anpassung am Außen beschäftigen. Da sich die Gesellschaft schon immer wandelt, bin ich optimistisch, dass die Menschen in ruhigen Zeiten wie diesen, auch einen Sprung in die richtige Richtung machen. Durch Beiträge wie diesen wird man angeregt und hat in Zeiten der Digitalisierung auch die Möglichkeit diese Inputs für sich zu nutzen. Ich freu mich über mehr 😀 😀 Danke!!
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