Wer noch Weihnachtsgeschenke sucht, findet hier Tipps für Bücher und Filme, die man sich selbst als Familie schenken und zusammen lesen oder anschauen kann. Für alle Altersklassen von drei bis hundert.
Quentin Blake: Zagazoo, London 1998

Das ist eins der witzigsten und wahrsten Bücher zum Leben mit Kindern, die es gibt. Es ist nicht wirklich für Kinder, sondern eher für Erwachsene gemacht, auch wenn es sehr bilderstark und sehr textarm ist. Es liefert einen wunderbar zugespitzten Durchzieher durch all die Verwandlungen und Überraschungen, die man mit den eigenen Kindern erlebt, bis hin zu der wunderbarsten: Eines Morgens ist das zottlige Pubertätswesen verschwunden und hat sich in einen wohlerzogenen jungen Erwachsenen verwandelt, der fragt: „Mama, Papa, kann ich euch Kaffee bringen?“
Und das Tolle ist: Es ist wirklich so. Genau so, wie es im Buch steht. Ich kann fast den Tag angeben, an dem meine älteste Tochter diese letzte Verwandlung durchgemacht hat. Bei meinen Söhnen warte ich noch darauf.
Astrid Lindgren: Ronja Räubertocher, Hamburg 1982 (Spielfilm: Regie Tage Danielson, Schweden 1984) (Amazon Prime)

Das ist ein erstklassiger Ablösungsroman. Wie kommen Kinder und Jugendliche mit ihrer Familie klar, wenn sie andere Interessen und andere Bindungen zu neuen Menschen entdecken? Wie können sie gleichzeitig Bindung und Unabhängigkeit erleben? Der Räubertochter bleibt nichts erspart, was das Leben in dieser Hinsicht auf Lager hat: Eltern-Kind-Konflikte, Loyalitätskonflikte, gefährliche Begegnungen, tragische Entscheidungen, versöhnliche Gesten, und – natürlich – ein Happy End. Ist ja ein Kinderbuch.
Außerdem zeigt das Buch – und noch mehr: der Film! – einen Vater, der für die reine, unverdünnte Emotion steht. Ein gutes Vorbild in Sachen Geschlechterrollen: Hier ist die Mutter die Stimme der Vernunft und die Quelle eines gelegentlichen Machtworts, und der Vater ist der emotionale Vulkan, der sich nicht unter Kontrolle hat und auch gar nicht unter Kontrolle haben will. Dieser Vater lässt jeden emotionalen Impuls raus, den er hat, aber voll und ungebremst: Er wirft den Braten an die Wand, wenn er eine Nachricht hört, die ihm nicht passt; er weint aus vollem Herzen, wenn sein Kind ihn verlässt; und er lacht und tanzt, dass die Balken sich biegen, wenn das Kind zurückkommt.
Die schwedische Verfilmung ist auch sehr einfühlsam und gleichzeitig wunderbar räuberisch-ruppig gemacht, mit einem mittelalterlich-fetzigen Soundtrack. (Der Spielfilm! Nicht der Animationsfilm.)
Jorge Bucay, Wie der Elefant die Freiheit fand, Frankfurt 2008

Das ist ein sehr tiefsinniges Buch – ein Buch über die menschliche Seele, das als Kinderbuch nur getarnt ist. Der Plot soll hier nicht verraten werden, aber er handelt von Freiheit und Gebundenheit, von inneren und äußeren Kräften, von Sehnsucht, Verwurzelung und Verwandlung. Nach diesem Buch bleiben eigentlich keine Fragen offen, was die Struktur menschlicher Bedürfnisse und Hemmnisse angeht. Ein Psychologiestudium kann man, wenn man will, noch dranhängen, aber es bringt nichts fundamental Neues mehr.
Außerdem ist das Buch ist sehr phantasievoll illustriert – eine Freude für Eltern mit künstlerischem Anspruch, die sich für den idyllischen Realismus von Conny-Büchern nicht erwärmen können.
Dean DeBlois & Chris Sanders, Drachenzähmen leicht gemacht, DreamWorks 2010 (Netflix, Amazon Prime)

Dieser Film ist nicht wirklich ein Geheimtipp, eher ein Blockbuster, aber es sei gesagt: Er lohnt sich. (Und zwar wie bei allen guten Filmen: der erste sehr, die späteren nicht mehr so.)
Was ist das Tolle daran? Erstens zeigt er menschliche Interaktion – oder hier: Mensch-Tier-Interaktion – in allen ihren Facetten: Angst, Bedrohung, Selbstüberwindung, Mitgefühl, Annäherung, Dankbarkeit, Freundschaft, Vertrauen. Es ist unglaublich, wie gut die heutigen Animationszeichner Emotionen darstellen können: wie exakt sie den Ausdruck einer bestimmten Emotion erfassen und in präzisen Strichen aufs Papier oder sonst ein technisches Medium bringen, und zwar egal, ob es sich um einen Menschen, ein Tier, einen Drachen oder einen Roboter handelt.
Zweitens ist einer der Helden des Films, der Drache Ohnezahn, ein wunderbares Vorbild für die gleichzeitige Gegensätzlichkeit – oder gegensätzliche Gleichzeitigkeit – menschlicher (drachischer) Emotionen und Selbstanteile. Ohnezahn ist einerseits der gefährlichste aller Drachen, weit und breit gefürchtet für seine tödlichen Attacken. Andererseits ist er ein ganz vertrauensvoller, anschmiegsamer, mitfühlender Kamerad, wenn man ihn mal zum Freund gewonnen hat. Genauso gegensätzlich und widersprüchlich sind wir Menschen auch, wenn wir das zulassen, was an Gefühlen in uns ist. An Ohnezahns Vorbild können Kinder sich die Erlaubnis dazu holen, alles kommen zu lassen, was da ist, ohne das wegzuzensieren, was gerade nicht ins eigene Selbstbild passt.
Der andere Held des Films – der Junge Hicks – hat es mit Problemen der Vater-Sohn-Anerkennung zu tun. Auch das ist familientherapeutisch einschlägig, aber ein bisschen klischeehaft. Für meine Liebe zu diesem Film reichen die ersten beiden Punkte.
Andrew Stanton: WALL-E – Der Letzte räumt die Erde auf, Pixar 2008 (Amazon Prime, Disney +)

Auch das ist ein wunderbarer Animationsfilm, der das ganze Spektrum menschlicher Emotionen in die zwei Blech-Augen eines kleinen Müllroboters hineinverlegt. Dieser Roboter ist eine unglaublich liebenswerte Figur. Glücklich der Mensch, der so viel Authentizität, Entschlossenheit und Unmittelbarkeit hat wie dieser verrostete kleine Blechkasten. Hier passieren alle Dramen des Lebens auf engstem Raum und mit nur drei Beteiligten: dem besagten Blech-Roboter, einem schwebenden Hightech-Roboter (oder Roboterin?) und einer Kakerlake. Die drei ergeben ein wunderbares Team, mit dem man sofort Pferde stehlen oder Banken ausrauben gehen würde.
Leider haben die Filmemacher die Langsamkeit und Schlichtheit der Handlung nur die erste Hälfte lang durchgehalten. Der Film wirkt, als hätte nach der ersten Hälfte der Regisseur abgedankt und ein anderer hätte übernommen. In der zweiten Hälfte gibt es ein aufgeregtes science-fiction-Szenario – kann man machen, aber so gut wie der Anfang wird es nicht mehr.