
Es gibt Wörter, die man besser nicht ins Englische übersetzen sollte. Zum Beispiel den Namen der folgenden Sanitärfirma, den ich auf einem Lieferwagen entdeckt habe: „Badkonzept“. Ich kann mir immer das Lachen nicht verkneifen, wenn vor meinem geistigen Auge das Bild einer Website entsteht, die heißt: www.badconcepts.com. „If you need a really bad concept for anything, ask us! We make a profession out of writing the worst concepts in the world.” Oder vielleicht gibt es ein Angebot für Neukunden: „Get three bad concepts for the price of two!“
Das war der Kalauer. Es geht aber auch im Ernst. Es ist eine durchaus ernst zu nehmende Technik, die darin besteht, Menschen paradoxe, d.h. „verkehrtherum“ gestellte Aufgaben zu stellen. Im Kontext einer Selbsterfahrungsgruppe kann es sich etwa um die Aufgabe handeln: „Notiere zehn Ziele, die du im Leben nie erreichen wirst!“ An der Universität kann man Studenten, die sich schwer tun mit dem Zuschneiden einer Fragestellung für ihre Bachelor- oder Master-Arbeit, die Aufgabe stellen: „Produziere fünf Varianten deines Themas, mit denen du garantiert in der Katastrophe landen würdest!“
Warum macht das Sinn? Erstens weil man dabei lacht, und Lachen ist immer gut. Zweitens weil man sich auf diese Weise ohne Druck dem Problem nähern kann. Die paradoxe Form der Aufgabe nimmt der Person den Druck, den sie sonst hätte – je ernster das Thema, desto mehr. Würde man nach einer Liste von Lebenszielen gefragt, die man erreichen will, könnten sich sonst bei jeder Idee sofort Gegenargumente, Zweifel, Einwände melden, wie zum Beispiel: „Oh Gott, ich bin ja gar nicht sicher, ob ich das schaffen kann“, „Ist das nicht viel zu ehrgeizig?“, „Und was, wenn es nicht hinhaut!“, „Aber das geht ja nicht, weil …“.. Vorsicht, Bescheidenheit, Selbstzweifel und vorwegnehmende Enttäuschungsprophylaxe würden das das freie Schweifen im Raum möglicher Ziele behindern. Wird man dagegen nach Zielen gefragt, die man nicht erreichen wird, kann man frei und phantasievoll drauflos denken, und man wird dabei mit Sicherheit auch an wirklich relevanten Zielen vorbeischrammen, ohne sich auf die heikle Aussage „Das ist mein Ziel“ festlegen zu müssen – was dann ja auch ein Scheitern implizieren würde, wenn man es nicht erreicht.
Und das gilt nicht nur für ohnehin leicht schwebende Kontexte wie sozialpädagogisch-therapeutisch inspirierte Selbstreflexionsrunden, sondern auch für ganz bodenständig-rationale Kontexte wie die Universität. Viele Studenten und Doktoranden quälen sich bei der Suche nach einer geeigneten Fragestellung und versuchen dabei alles richtig zu machen, haben aber wenig Erfahrung mit den Tücken und Konsequenzen verschiedener Themenzuschnitte. Gibt man ihnen die Aufgabe, absichtlich aussichtslose Themenvarianten zu produzieren, bringt man sie einerseits auf Ideen und schult sie andererseits im Erkennen von Fallgruben und Irrwegen: „Aha, bei diesem Thema müsste ich ungefähr tausend Regalmeter Bücher lesen und würde in zwanzig Jahren nicht fertig werden“, oder: „Die Frage ist interessant, aber es gibt keine denkbare Methode, mit der ich die nötigen Daten erheben könnte“, usw. usf. (Mein Lieblingsbeispiel eines zu groß gewählten Themas, das allerdings tatsächlich abgeschlossen und abgehandelt wurde, auf 725 Seiten!, ist: „Geld und Gesellschaft. Zu Entstehung, Funktionsweise und Kollaps von monetären Mechanismen, Zivilisation und sozialen Strukturen.“) Auf diese Weise robbt man sich langsam und unauffällig, gewissermaßen von hinten an die Kriterien für eine gute Fragestellung ran.
Man kann angstfrei einen Möglichkeitsraum erkunden und wird dabei unweigerlich Erkenntnisse haben, die einem dabei helfen, irgendwann auch die Positivvariante besser im Griff zu haben.
Die Technik, Menschen den Druck zu nehmen, ist überhaupt eine erstrangige therapeutische Technik. Nehmen wir an, es kommt eine Klientin in die Therapie, die übergewichtig ist und Gewicht verlieren möchte. Der Therapeut fragt: „Was essen Sie denn so?“, und sie antwortet: „Burger, Pommes, Chips, Schokolade.“ Dann kann der Therapeut sie zustimmend anlachen und sagen: „Also genau das, was das Leben lebenswert macht!“ (Dieses Beispiel aus Arnold Retzer, Passagen, S. 218.) Er gibt damit ihrem, sagen wir mal: suboptimalen Ernährungsverhalten eine positive Färbung, solidarisiert sich mit ihr und bestätigt ihr, dass Pommes, Chips und Schokolade einen realen und nachvollziehbaren Wert in ihrem Leben haben, nämlich starke Geschmackserlebnisse und schnelle Befriedigungsmomente zu gewähren. Er nimmt ihr damit eine Schicht von Scham- und/oder Schuldgefühlen, die sie sonst an dieser Stelle vielleicht hätte.
Denn typisch ist, dass wir uns für unser suboptimales Verhalten – gleich in welchem Bereich – auch noch schämen, oder schuldig fühlen, oder uns Vorwürfe machen, oder wütend auf uns selbst sind, dass wir es nicht schaffen, das anders zu machen. Wir sind nicht im Reinen mit uns an diesem Punkt, wir sind nicht liebevoll mit uns. Und das macht es nicht leichter, sondern schwerer, davon wegzukommen, weil wir uns dann auch noch mit Schuld, Scham, Selbstvorwurf oder Wut herumschlagen müssen – weil wir nicht druckfrei auf das Thema schauen und uns damit auseinandersetzen können. Der Effekt ist, dass wir dann oft lieber die Augen zumachen, uns um das Thema rumdrücken oder aber blanko, zu schnell und oberflächlich beschließen, es in Zukunft anderes zu machen, was dann aber bei der nächsten Konfrontation mit der Sache wieder kollabiert und wieder in das alte Verhalten umschlägt. Besser geht es, wenn der Weg zu einer Änderung mit einem liebevollen Sich-selbst-Annehmen beginnt. Man kann dann auf der ersten Schicht schon mal mit sich selbst gut sein, und dann ist es einfacher, auf anderen Schichten des Problems sich vielleicht anders zu entscheiden, dazuzulernen, umzudenken, mal was Neues zu probieren.
Das ist, wenn man so will, die Grundintervention aller Therapie, vor oder neben allen spezifischeren Interventionen: Der Klient lernt, liebevoll und akzeptierend mit sich selbst umzugehen, weil der Therapeut liebevoll und akzeptierend mit ihm umgeht. Was uns verrückt macht, sind unsere inneren Konflikte, und was uns hilft, weiterzukommen, ist die Entlastung von solchen Konflikten und perspektivisch ihre Auflösung.
Der Therapeut im obigen Beispiel könnte die Klientin deshalb vielleicht – ganz im Sinne von www.badconcepts.com – einen Speiseplan erstellen lassen, der so beschaffen ist, dass sie damit in den nächsten zwei Monaten garantiert zehn Kilo zunehmen würde. Sie würde sich dann humorvoll und liebevoll mit ihrer „Macke“ auseinandersetzen – würde vielleicht überlegen, wann und aus welchen Anlässen sie besonders viel Schokolade konsumiert, oder sie würde am Überdruss ersticken (jeden Tag Pommes zum Mittagessen!) und sich über sich selbst hinauskatapultieren.
Badconcepts sind also vielleicht keine schlechten Konzepte. Sie sind Zwischenstufen auf dem Weg zu goodconcepts. So dialektisch kann das Leben sein, und so spielerisch das ernsthafte Arbeiten an sich.
Genau ins Schwarze getroffen! Freue mich auf die nächsten Erkenntnisse. DANKE!!!
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Interessanter Ansatz! Werde ich morgen mal im Büro mit den Kollegen testen. Ein Brainstorming dazu, was man alles falsch machen könnte. Dankeschön!
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