Warum zeigen wir unserem Partner unsere ätzendste Seite?

Für Paarbeziehungen gilt, was auch über Kriege gesagt worden ist: Sie bringen die besten, aber auch die schlimmsten Seiten des Menschen ans Licht. Partner behandeln einander oft mit einem Höchstmaß an Gereiztheit, Genervtheit, Gleichgültigkeit, Sturheit, Ignoranz – und zwar auch dann, wenn sie ansonsten offene, zugängliche, einfühlsame und geduldige Menschen sind. „Er ist eigentlich ein netter Mensch, nur nicht zu mir“ – so der Stoßseufzer einer frisch geschiedenen Frau über ihren Ex-Mann.

Was bringt Menschen dazu, sich gerade ihrem Partner von ihrer ätzendsten Seite zu zeigen? Das hat natürlich mit Alltag und Abstumpfung zu tun, mit dem Verschwinden der Notwendigkeit, sich dem Partner in einem guten Licht zu zeigen. Aber es steckt noch mehr dahinter, nämlich das Problem der Abwehr. Abwehr heißt in der Psychologensprache: Menschen vermeiden schmerzhafte Erfahrungen und setzen alle möglichen Mittel ein, um sie von sich fernzuhalten, sie abzublenden, ihnen aus dem Weg zu gehen.

Paarbeziehungen sprechen unsere tiefsten unbewussten Wünsche und Bedürfnisse an. Sie tragen in sich das Versprechen, dass wir im Partner endlich das finden werden, was wir im tiefsten Inneren erhoffen und ersehnen (s. Eintrag „Warum wir uns verlieben“). Sie aktivieren die tiefsten Schichten unserer Psyche. Deshalb können wir in Paarbeziehungen aber auch tiefer verletzt werden als anderswo. Wir können uns vom Partner in einer Weise bedrängt, angegriffen, herabgesetzt, vernachlässigt oder ignoriert fühlen, wie wir uns anderen Menschen gegenüber nicht fühlen. Wenn wir uns aber verletzt oder von Verletzung bedroht sehen, greift der Mechanismus der Abwehr. Wir versuchen, die schmerzhafte Erfahrung loszuwerden oder abzublenden, wir versuchen uns davor zu schützen, indem wir statt dessen etwas anderes tun.

Wir werden dann zum Beispiel aggressiv; wir verletzen andere, statt unserer eigenen Verletztheit und Verletzlichkeit ins Auge zu sehen. Wir strecken etwa den Anklagefinger aus, geben dem Anderen die Schuld und leiten unsere Not auf den Anderen ab (s. Eintrag „Beliebte Haltungen I“). Oder wir flüchten uns in Aktionismus und Ablenken auf harmlosere Tätigkeitsfelder; wir versuchen, durch äußeres Tun, Machen, Organisieren, Ordnungsschaffen den inneren Schmerz zu betäuben und die innere Alarmzone ruhigzustellen. Oder wir ziehen uns zurück und nehmen eine beleidigt-abgewandte Haltung des „Dann eben nicht“, „Dann brauch ich dich eben nicht“ ein, die uns vor weiteren Verletzungen, weil weiterem Kontakt, schützt. Oder wir rationalisieren, gehen Gefühlen überhaupt aus dem Weg und ziehen uns darauf zurück, die Welt „vernünftig“ und „objektiv“ zu sehen (s. „Beliebte Haltungen II“.) Und so weiter – der Möglichkeiten gibt es viele.

Partner sehen deshalb voneinander oft ihre Abwehrseite oder ihre Schutzhaltungen. Die Abwehrseite eines Menschen ist aber seine hässliche Seite. Wir sind normalerweise viel sympathischer, wo wir uns frei, offen und ohne Druck bewegen, als wo wir uns gegen subjektiv unerträgliche Bedrohungen verteidigen. Einen Menschen, der akut an seine Abwehrgrenze getrieben wird – der gerade an dem Punkt ist, wo er es nicht mehr aushält –, kann man schwer lieben. Und an einen Menschen, der dauerhaft bestimmte Abwehrmauern hochgezogen hat, kommt man in dieser Hinsicht eben nicht ran, man beißt sich alle Zähne daran aus.

Hier ein Beispiel für eine Abwehrspirale in einem Paar, die aus irgendeinem Anlass – einem Missverständnis oder Konflikt – oder auch ohne Anlass, einfach durch Einschleifen einer Konstellation und Abschleifen des Anfangsschwingens in Gang kommen kann.

Auf der einen Seite steht ein Partner, der grundsätzlich eher als Einzelkämpfer durchs Leben geht, auf Probleme eher mit Rückzug und einsamem Tun reagiert – der nicht in den sozialen Kontakt geht, sondern raus, der gelernt hat, sich so vor Widrigkeiten zu schützen. Auf beginnende Probleme in der Paarbeziehung reagiert er damit, dass er anfängt, sich zurückzuziehen: Er erzählt weniger von sich, zeigt weniger von sich – zunächst nicht absichtlich, er findet einfach keinen Ansatzpunkt, um auszudrücken, was ihn bewegt. Er redet von anderen Dingen und redet einfach weniger. Nach einiger Zeit nimmt er allerdings seiner Partnerin auch untergründig übel, dass sie ihm nicht als emotionales Gegenüber zur Verfügung steht, und hat vielleicht auch gewisse „Tit-for-Tat“-Impulse („Gleiches mit Gleichem vergelten“). Das unbewusst angelegte Motto ist: „Wenn du dich nicht für mein Erleben interessierst, interessiere ich mich auch nicht für deines.“ Er entwickelt immer mehr eine abweisende Haltung, eine Art Igel-Äußeres: stachlig, eingerollt und unzugänglich.

Seine Partnerin sieht das, undeutlich und unbegriffen, und reagiert darauf mit Erklärungen dieses Zustands, die allerdings manchmal an Pathologisierung grenzen. Sie sagt etwa: „Du bist im Beruf überlastet, überfordert, ruh dich aus, erhol dich, tu was für dich.“ Das ist nun überhaupt nicht das, was er will, er fühlt sich abermals missverstanden. Er versucht rüberzubringen, dass es nicht am Beruf liegt, sondern irgendwie auch an ihr, dass er sich durch sie unverstanden und resonanzlos zurückgelassen fühlt.

Sie aber ist ein Mensch, der gern anderen bei Problemen hilft, aber ungern selbst jemand ist, der Probleme hat – der nicht alles kann, nicht in allem sicher, souverän und lösungsgewandt ist. Sie fühlt sich durch seine Vorstöße in die Problemposition gedrückt und reagiert ihrerseits mit Abwehr. Diese hat in diesem Fall die Form verstärkter Pathologisierung, also verstärkter Suche nach Erklärungen für sein, ihr aggressiv und ungerecht scheinendes Verhalten. In die Enge gedrängt, vor die Wahl gestellt, ob sie lieber sich selbst pathologisieren lässt (d.h. als Mensch-mit-Problemen darstellen lässt) oder ihren Partner pathologisiert, wählt sie das zweite, und findet immer neue und für ihn immer inakzeptablere Erklärungen für sein Verhalten, bis hin zu psychologischen Erklärungen („Ich verstehe, dass du so bist, weil du als Kind von deinen Eltern folgendes erfahren hast …“). Dies drückt bei ihm wiederum den Trigger, dass er hier überhaupt nicht ernst genommen wird und aus der sozialen Beziehung nichts Gutes erwarten kann, und er geht noch mehr in die Haltung „Dann eben nicht“, „Dann brauch ich dich eben nicht“. Usw.

Keiner von beiden versteht, was los ist, und jeder wird durch seine Lösungsversuche (Suche nach Schutz vor subjektiv unerträglichen Zuständen) immer weiter weg vom Anderen, und letztlich auch immer weiter weg von den eigenen Wünschen, getrieben.

Wenn solche Abwehrspiralen nicht allzu tief eingefahren sind, kann man sie aufbrechen, indem man die Partner wieder in Kontakt mit ihren eigentlichen Wünschen bringt, die unter der Stachel-Oberfläche liegen. Letztlich ist die Abwehr nur eine Maske, oder jedenfalls ist sie nicht die unterste Schicht dessen, was wir sind. Es ist eine Frage dessen, wie tief man gräbt, und auch: wie offen man sich mit eigenen wunden Punkten konfrontiert.

Unter dem Pflaster liegt der Strand – so sagt ein altes Lied, dessen Versprechen sich eher nicht erfüllt haben. Aber sicher ist: Und unter der Abwehr liegt die Nähe. Gegen Menschen, die uns nicht nah sind, brauchen wir uns viel weniger zu schützen. Nur Menschen, die uns nah sind und die wir, im Prinzip, auch nah an uns haben wollen, müssen

gelegentlich mit einer hässlichen Fratze abgeschreckt und davongejagt werden – mit der auch darunter verborgenen Hoffnung, dass sie trotzdem zurückkommen und uns die Maske herunterreißen.

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