Beliebte Haltungen in Paarbeziehungen (I)

Wenn wir versuchen, eine Beziehung zu reparieren, arbeiten wir oft mit den falschen Werkzeugen. Wir sind dann wie ein Automechaniker, der den Motor mit der Kettensäge zu reparieren versucht oder mit dem Großen Brockhaus. 

Es ist etwa ein häufiges Muster, dass, wenn die Beziehung zu knirschen anfängt, die Partner sich gegenseitig Vorwürfe, Anklagen und Beschuldigungen hinwerfen. „Du machst immer das-und-das!“, „Warum kapierst du nicht, dass …?“ Letztlich läuft es auf die Aussage hinaus: „Du bist an allem schuld“. Die Haltung ist die des Anklagefingers, der auf den Anderen zeigt und verlangt, dass er sich ändert. Das kann übrigens auch für Politiker eine attraktive Haltung sein: „Ihr zerreißt das Land“, „Ihr zerstört die Demokratie“, „Ohne euch würden wir in einem blühenden Land leben“.

Der Partner, der mit solchen Vorwürfen konfrontiert ist, kann auf verschiedene Weise reagieren. Manche geben die Vorwürfe zurück und sagen: „Nein, du machst doch …“. Manche versuchen, den Frieden wiederherzustellen, den Zorn des Partners zu beschwichtigen und es ihm recht zu machen. Die erste Möglichkeit führt leicht in ein gegenseitiges Anklagen und oft in eine Eskalation, in der die Vorwürfe beider Seiten sich immer weiter hochsteigern. Die zweite Möglichkeit führt aber auch selten zu Frieden. Sie kann vielmehr zu immer weiterem Anklagen und Beschuldigen einladen; denn der beschwichtigende Partner nimmt ja den Vorwurf an, so dass der Ankläger sich bestätigt fühlt und immer neue Dinge entdecken wird, die der Partner falsch macht.

Was müsste statt dessen geschehen, um die Situation zu verbessern? Was man eigentlich tun müsste, ist, sich zu fragen, warum der Ankläger anklagt. Das ist leichter gesagt als getan. Denn soweit die Partner auf sich gestellt sind, ist derjenige, der sich das fragen müsste, ja in dem Moment der Angegriffene, er ist vermutlich selbst verletzt und hat das Gefühl, dass er zu Unrecht auf der Anklagebank sitzt. Das ist keine gute Ausgangsposition für empathisches Fragen. Aber trotzdem, an dieser Stelle, mit dem Vorteil der Distanz und Reflexion: Warum klagen Menschen an?

Die Antwort ist: Hinter dem Anklagen liegt immer eine Verletzung. Wer anklagt, kriegt in der Beziehung – oder vielleicht anderswo in der Welt – nicht das, was er braucht, er ist enttäuscht, gekränkt, ratlos, verzweifelt, und lenkt das nach außen ab. Dahinter steckt die Logik: „Wenn es mir schlecht geht, muss ein Anderer schuld sein“, und das Prinzip, dass es leichter ist, mit dem Finger auf Andere zu zeigen, als sich dem eigenen Schmerz zu stellen. Man braucht hier das Zwiebelmodell der menschlichen Psyche, wonach hinter dem gezeigten Verhalten immer etwas anderes liegt: hinter dem Verletzen ein Verletztsein, hinter der Wut die Traurigkeit, hinter der Bitterkeit die Sehnsucht. Die äußeren Schichten der Zwiebel helfen nicht beim Verständnis der inneren, sie verdecken sie eher, kleistern sie zu. Tatsächlich ist es fast nie sadistische Freude am Quälen oder Richten, die den Ankläger treibt, sondern die eigene Verletzung, zu der er keinen Zugang hat. „Die Verachtung ist die Waffe der Schwachen“, sagt Alice Miller in dem wunderbaren Buch „Drama des begabten Kindes“. Ebenso ist der Anklagefinger die Waffe der Verletzten.

Im Idealfall würde man also den Ankläger in den Arm nehmen und fragen: Was brauchst du? Was tut dir weh? Abgesehen davon, dass man eine solche Mutter-Teresa-Haltung vom angeklagten Partner nicht verlangen kann, würde das natürlich auch der Ankläger in dem Moment nicht verstehen, er würde sich verarscht fühlen. Trotzdem ist das grundsätzlich die Richtung, in die man denken muss. Wenn der andere Partner noch bereit ist, auf den anklagenden Partner einzugehen, kann er beispielsweise versuchen, weniger auf die Einzelvorwürfe zu hören, die meist eh nirgendwohin führen, und sich statt dessen zu fragen: Was braucht dieser Mensch? Was macht ihn fertig? Denn was ihn fertigmacht, das sind nicht die Einzeldinge, die er aufzählt. Es sind tiefere, größere, schwerer zu formulierende Dinge. Vielleicht hat er das Gefühl, unterzugehen in einer Familie voll Trubel und Turbulenzen; vielleicht hat er das Gefühl, mit seinen eigenen Bedürfnissen und Qualitäten nicht gesehen zu werden; vielleicht hat er das Gefühl, gegen einen stärkeren oder selbstbewussteren Partner nicht anzukommen. Wer anklagt, schreit eigentlich nach Gesehenwerden und Geheiltwerden in seinen Verletzungen. Er weiß es nur nicht.

Eine Technik, die man probieren kann, wenn die Situation noch nicht zu stark eskaliert ist, ist auch folgende. Die Partner können in einem entspannten Moment (!, nicht in der akuten Konfliktsituation) die für beide typischen Haltungen in übersteigerter Form pantomimisch darstellen. (Siehe dazu auch die Einträge der kommenden Wochen.) Wer zum Anklagen neigt, streckt den Finger aus und steigt dazu vielleicht auf einen Stuhl, um die anderen von oben herab verurteilen zu können. Wer zum Beschwichtigen neigt, der macht sich klein, geht auf die Knie und hebt beschwörend die Hände, mit der Botschaft: „Ich tu doch alles für dich!“ Wer irgendwelche anderen Haltungen in sich trägt, findet dafür einen passenden pantomimischen Ausdruck. Wenn jemand eine Neigung zum Rückzug hat, kann dies beispielsweise so dargestellt werden, dass er sich in eine Ecke setzt und eine beleidigte Schnute zieht.

Eine solche übersteigerte Darstellung kann Dynamiken klären und im besten Fall bestimmte Verhaltensmuster „sperren“, d.h. schwerer zugänglich machen und ihnen ihre unmittelbare Wirksamkeit nehmen. Aber immer müssen solche Klärungsspiele einvernehmlich und grundsätzlich in humorvoller und selbstkritischer Gesinnung durchgeführt werden (oder noch besser: unter therapeutischer Begleitung). Sie dürfen nicht im Ton des „Jetzt zeig ich dir, was du immer machst!“ ablaufen. Sonst sind sie nichts mehr als ein besonders raffiniertes, paarpsychologisch munitioniertes Anklagen, das besagt: „Du klagst immer an!“

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