The End

Wie soll dieser Krieg enden? Das ist eine Frage, die sich die Welt jetzt stellen muss – die Ukrainer, aber auch die westlichen Unterstützer, Entscheider, Ratgeber. Die basale Einsicht hierzu ist (hier könnte ich ungefähr tausend Belegstellen aus der kriegstheoretischen Literatur anführen): Kriege müssen vom Verlierer beendet werden. In so gut wie allen Fällen.

Ein Krieg endet entweder dann, wenn der Sieger sein Ziel zufriedenstellend erreicht hat, was vorausgesetzt, dass er ein klar definiertes Ziel hat und nicht unterwegs weitergehenden Appetit entwickelt. Oder er endet dann, wenn der Verlierer einsieht, dass er verloren hat – wenn er aufhört zu kämpfen und anfängt zu verhandeln und sich auf Bedingungen einlässt, die der Andere als Eingeständnis einer Niederlage und als Sieg für sich verbuchen kann. (Es gibt auch Kriege, insbesondere Bürgerkriege, die mit einem dauerhaften Patt und Kräftegleichgewicht oder mit einer solchen Kräftezersplitterung enden, dass in den Verhandlungen nicht klar ist, wer auf der Sieger- und wer auf der Verliererseite sitzt, dass zehn gleichberechtigte Parteien dasitzen und Ansprüche erheben. Aber dafür ist die Ukraine kein Kandidat.) Wenn der Verlierer diesen Schritt nicht tut, weil er noch Mut, noch Kräftereserven, noch Männer (oder Frauen), noch Panzer (oder Molotowcocktails), noch Sturmgewehre (oder Sprengfallen) hat, dann geht der Krieg weiter.

Der Zweite Weltkrieg ist weitergegangen, bis die Rote Armee in Berlin angekommen war und es schlechterdings nichts mehr zu verteidigen gab. Der Vietnamkrieg ist – aus einer ähnlich asymmetrischen Kräfteverteilung heraus wie im Ukrainefall – jahrzehntelang weitergegangen. Auch eine militärisch unterlegene Partei kann sich jahre- und jahrzehntelang als Kriegspartei halten, wenn sie auf Guerrillakrieg umschaltet, d.h. auf Verstecken im ländlichen Raum, verdecktes Operieren ohne Uniform, Hit-and-Run-Taktiken, Sabotage und Sprengstoffanschläge. Aber der Preis dafür ist ein Verwischen des Krieges zum schmutzigen Krieg, in dem es keine stabile Grenze zwischen Kombattanten und Non-Kombattanten mehr gibt und immer mehr Zivilisten immer schutzloser in der Feuerlinie von Angriffen stehen. Die Vietnamesen haben den Krieg gegen einen übermächtigen Gegner letztlich gewonnen – „gewonnen“ in dem Sinn, dass die Amerikaner irgendwann abgezogen sind, mit gesenktem Haupt und eingezogenem Schwanz. Aber „gewonnen“ auch in dem Sinn, dass ihre Wälder entlaubt, ihre Kinder vergiftet, Zigtausende Zivilisten erschossen oder verbrannt, Millionen Zivilisten geflüchtet oder traumatisiert waren.

Wenn das nicht passieren soll, ist es nötig, dass der Verlierer irgendwann seinen Widerstand aufgibt. So bitter das ist. Und ich glaube: So bitter ist die Lage im Moment. Die NATO hat mit sehr guten Gründen beschlossen, der Ukraine nicht militärisch zu helfen. Die NATO-Generäle haben ihr Eskalationshandbuch gelernt: Es empfiehlt sich nicht, einem möglicherweise durchgedrehten Menschen, der bereits mit Atomwaffen gedroht und einen bereits als Gegner identifiziert hat, einen Eskalationsschritt zu servieren. Ich glaube, das ist die richtige Entscheidung.

Wenn das aber so ist, dann hat die Ukraine keine Chance. Sie hat keine Chance, sich dauerhaft gegen die russische Armee und Marine und Luftwaffe zu verteidigen, wenn sie jetzt schon nicht in der Lage ist, einen tagelang herumstehenden Militärkonvoi anzugreifen. Wenn das aber so ist, dann müsste man anfangen, das Selenskyj beizubringen. Statt ihm Unterstützung für den Krieg zuzusagen, sollten wir ihm zeigen, wie man anständig, achtungsvoll und geachtet, die Waffen strecken und ins Exil gehen kann. Statt weitere Waffen in die Ukraine zu liefern, sollten wir zusagen, dass die Zentralbanksanktionen so lange in Kraft bleiben, bis die Ukraine in größeren Teilen wieder ein souveräner Staat ist.

In größeren Teilen. Nicht ganz. Putin wird einen Preis verlangen. Vermutlich wird er die Krim und Donezk und Luhansk und das Asowsche Meer verlangen, oder was immer. Und so ist es: Das hat er sich erkämpft. Das können wir nicht ungeschehen machen, so völkerrechtswidrig es ist. Gewehre und Granaten sind im Zweifel stärker als Papier, das hat man immer gewusst. Natürlich können wir diese realpolitische Einsicht verweigern und darauf bestehen, dass alle gewaltsamen Eroberungen rückgängig gemacht werden. Aber dann wird Putin weitermachen mit Erobern. Wenn wir nicht aufhören, auf unser Papier zu pochen, wird Putin nicht aufhören, seine Raketen zu schicken. Auch das ist eine Art von Eskalation – hier vom Typ der komplementären Eskalation, im Unterschied zur symmetrischen Eskalation, wo jeder Raketen schickt. (Dieser Eskalationszirkel scheint mir wichtig, ich werde ihn in einem weiteren Blog ausbuchstabieren.) Putin muss eine Beute bekommen und aus dem Krieg abziehen als einer, dessen Einsatz sich gelohnt hat. Andernfalls wird er nicht abziehen. Siehe Anfang.

Es ist ironisch. Ich bin nie eine Militärgegnerin, auch nicht eine Rüstungs- oder Rüstungsexportgegnerin gewesen, ich bin nie Pazifistin gewesen, ich war immer unschlüssig in Bezug auf das Zwei-Prozent-Ziel. (Vermutlich weil ich Kriegssoziologin gewesen bin, was zwangsläufig ein gewisses Maß an machtpolitischem Realismus mit sich bringt.) Ich bin all das nie gewesen in Zeiten, in denen viele Menschen in meinem Umfeld und alle Parteien, die zu wählen ich erwägen würde, Rüstungsgegner gewesen sind. Das hat sich in rasender Geschwindigkeit gedreht. Jetzt ist der Moment, wo ich gegen Rüstungsexporte wäre – jetzt, wo ein roter Kanzler und eine grüne Außenministerin und eine rote Verteidigungsministerin Waffen zu liefern beginnen. Jetzt ist der Moment, wo ich es für klüger halten würde zu sagen: Wir liefern euch keine Waffen, weil uns euer Leben lieb ist. Nicht weil Krieg grundsätzlich ein Verbrechen ist. Sondern weil einen aussichtslosen Krieg zu führen sinnlos ist, und weil das von außen leichter einzusehen ist als von innen.

Wer mehr wissen will: Das Kapitel zu Kriegende aus meinem Buch „Kriege“ (Campus 2013) gibt es hier zum Download: https://www.familientherapie-kuchler.de/weiterlesen

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